BNN über Bütikofer-Besuch: „Wir brauchen eine Agenda des Wandels“

Grünen-Europaabgeordneter Reinhard Bütikofer fordert Rückbesinnung auf gemeinsame Werte

Der Austritt von Großbritannien aus der Europäischen Union (EU) sorgt bei Reinhard Bütikofer auch noch knapp ein halbes Jahr später für großes Unverständnis. „Der Brexit-Schock sitzt immer noch tief“, bekennt der Europaabgeordnete der Grünen bei einem Diskussionsabend in Durlach. „Aber vielleicht war dieses Referendum auch der Schreckschuss, der nun eine Neubesinnung einleitet.“ In vielen europäischen Ländern seien die Zustimmungswerte für einen Verbleib in der EU seither nämlich deutlich gestiegen und nun müsse dieser Trend mit Taten unterfüttert werden. „Diese Chance dürfen wir nicht verspielen“, appelliert der 63-jährige Mannheimer. Deshalb müsse nun eine „Agenda des Wandels“ eingeleitet werden. Mit dem Beharren auf dem Status quo und den immer gleichen Antworten auf die Fragen der Bürger spiele man am Ende nämlich nur den Populisten in die Hände. „Und wir befinden uns bereits in einer extrem gefährlichen Situation“, verweist der Grünen-Politiker auf die Stärke der rechtskonservativen Parteien in zahlreichen europäischen Ländern.

Als Beleg für eine mögliche Trendwende wertet Bütikofer auch den Wahlsieg des Grünen-Politikers Alexander Van der Bellen bei der österreichischen Präsidentenwahl gegen Norbert Hofer von der rechtspopulistischen FPÖ. „Er hat die Wahl gewonnen, obwohl er ein Grüner ist“, stellte Bütikofer klar, und das mit einem Dreiklang aus „Weltoffenheit, Europa und Heimat“. Bütikofer selbst fordert vor allem ein Umdenken in der europäischen Handels- und Wirtschaftspolitik. Außerdem müssten strategische Investitionen in die Infrastruktur getätigt und der jahrelange Sparkurs hinterfragt werden. „Es hat sich noch niemand gesund geschrumpft“, so Bütikofer, denn die Griechenland-Krise sei noch längst nicht überwunden und auch Irland sei nach wie vor ein Wackelkandidat.

Zur ungleichen Verteilung in Europa trägt nach Bütikofers Ansicht auch Deutschland mit seinen Exportüberschüssen seinen Teil bei. Laut einer „goldenen EU-Regel“ dürfe ein Land nämlich weder zu hohe Defizite noch zu hohe Überschüsse haben. „An die Überschüsse traut sich aber keiner ran“, so Bütikofer. Durch die schwelenden Probleme und die größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich habe die Idee eines gemeinsamen Europa in den meisten Ländern aber bereits an Integrationskraft verloren.

Sylvia Kotting-Uhl über Bütikofer: “Leidenschaftlicher Europäer”

Ohne eine gemeinsame Politik droht Europa nach Bütikofers Einschätzung auch international den Anschluss zu verlieren. „Europa und die USA sind in einer globalisierten Welt nicht mehr dominierend.“ Vor allem die USA hätten ihre „wirtschaftliche und politische Kraft“ lange Zeit überschätzt und sich bereits unter Präsident Barack Obama aus vielen Bereichen wie dem Nahost-Konflikt zurückgezogen. „Mit Donald Trump wird das nun noch extremer“, prophezeit Bütikofer. Deshalb: Europa müsse wieder mehr für sich selber sorgen. Auch die Industrie müsse altbekannte Denkschablonen aufbrechen und schneller auf den globalen Wandel reagieren. Als Beispiel für seine These führt der Europaabgeordnete den rasanten Ausbau der Elektromobilität in China ins Feld: „Wenn die Unternehmen im Südwesten da nicht schnell reagieren, verlieren sie einen wichtigen Markt und auf lange Sicht auch ihre führende Rolle in der Automobilindustrie.“

Bütikofer sei ein „leidenschaftlicher Europäer“, lobt die Karlsruher Grünen-Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl ihren Parteifreund, „aber nun müssen wir alle mit Leidenschaft für Europa kämpfen, denn zum ersten Mal seit ihrer Gründung ist die EU ernsthaft in ihrer Existenz bedroht“. Obwohl, oder vielleicht auch gerade weil, Freiheit und Toleranz gegenüber Minderheiten in den vergangenen Jahren stetig zugenommen haben, sei der Rechtspopulismus „überall auf der Welt auf dem Vormarsch“, so Kotting-Uhl weiter, „und in den wenigsten Ländern verläuft das so harmlos wie bei uns“. Allerdings gebe es auch triftige Gründe, an manchen Entwicklungen Kritik zu äußern, stellt Kotting-Uhl klar, denn auch der Weg von Bundeskanzlerin Angela Merkel habe „verbrannte Erde“ hinterlasse und in vielen Ländern zu großer Jugendarbeitslosigkeit geführt.

Quelle: BNN/Ekard Kinkel