Endlagersuche mit Chance auf Akzeptanz

von Sylvia Kotting-Uhl

Wie soll die Suche nach einem Ort für den hochgefährlichen Atommüll vonstattengehen? Zwei Jahre brauchte die von Bundestag und Bundesrat 2014 eingesetzte Endlagerkommission aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik für eine Antwort auf diese Frage. Inzwischen hat sie ihren Abschlussbericht übergeben. Der von ihr empfohlene Weg zu einem Endlager ist aufwendig, komplex und langwierig. Unser Kommissionsmitglied Sylvia Kotting-Uhl sieht darin aber eine tragfähige Lösung mit Aussicht auf Akzeptanz.

Hier geht’s zur pdf-Version des Artikels.

Hochradioaktiver Atommüll ist der in seiner Giftigkeit langlebigste Stoff, den die Menschheit je produziert hat. Das Standortauswahlgesetz (StandAG) von 2013 hat der Kommission die Aufgabe zugewiesen, für das neue Verfahren Suchkriterien festzulegen, Partizipationsverfahren zu entwickeln und das StandAG selbst zu evaluieren.

Die Kommission empfiehlt ein wissenschaftsbasiertes, transparentes Suchverfahren. An dessen Ende wird der im Vergleich bestgeeignete Standort in Deutschland ausgewählt. Das bedeutet die längst überfällige Abkehr vom Prinzip Gorleben, einer politischen Vorabentscheidung für einen Standort, der dann nachträglich den Stempel „geeignet“ bekommt.

WOHIN MIT DEM ATOMMÜLL?

Jahrzehntelang gab es eine Vorfestlegung auf das niedersächsische Gorleben und damit auf Salz als Wirtsgestein. Doch auch Ton und Kristallin sind potenziell geeignet und in Deutschland vorhanden. Nach den neuen Kriterien kommen alle diese Gesteine gleichwertig für die Endlagerung in Betracht. Die Präferenz für Salz ist vor allem durch das wieder eingeführte Abwägungskriterium „Deckgebirge“ und das Kriterium „gleiche Einlagerungstemperatur für alle Wirtsgesteine“ aufgehoben. Kristallin gilt nicht mehr als weniger geeignet. Das hat den Salzliebhabern in der Kommission nicht gepasst. Sie gaben Sondervoten zu den Kriterien ab. Bayern und Sachsen, die das Kristallin beherbergen, stellten die Ergebnisse der Kommission gleich grundsätzlich infrage. Es war eben jahrzehntelang sehr bequem, mit dem Finger auf das Salz des Nordens zu zeigen und es zum Besten für die Einlagerung von Atommüll zu erklären. Damit ist Schluss!

OFFEN FÜR DIE BÜRGERINNEN UND BÜRGER

In dem neuen Suchverfahren wird Partizipation eine große Rolle spielen. Allgemeine Erklärungen, dass die eigene Region zur Endlagerung ungeeignet sei, tun nichts zur Sache. Sie werden das wissenschaftsbasierte Vorgehen, das Sicherheitskriterien folgt, weder aufhalten noch beeinflussen. Die vorgesehenen Partizipationsgremien können auf verschiedenen Ebenen Einfluss nehmen: Regionalkonferenzen mit ihren Nachprüfrechten werden jeder Bürgerin und jedem Bürger offenstehen. Der Rat der Regionen bündelt die Interessen der betroffenen Regionen und gibt auch den Zwischenlagerstandorten eine Stimme. Das Nationale Begleitgremium überwacht die Suche nach dem Gesetz und im Geist der Kommission.

Träger des Verfahrens sind das neue Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE) und die neu gegründete Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE). Insgesamt ein ausgeklügeltes System von Checks and Balances. Auch dass die Energieversorger über ihre 75-Prozent-Tochter DBE in den Endlagerprojekten stecken, gehört damit der Vergangenheit an.

KEINE IRREVERSIBLEN ENTSCHEIDUNGEN

Suche, Bau und Betrieb des Endlagers werden Jahrzehnte dauern. Es erscheint anmaßend, heute entscheiden zu wollen, was im Jahr 2050 geschehen soll. Trotzdem müssen wir Strukturen, Prinzipien und Kriterien so festlegen, dass spätere Willkür zumindest schlechte Karten hat. Gleichzeitig brauchen wir ein lernendes Verfahren. Neue Erkenntnisse müssen berücksichtigt, gemachte Fehler revidiert werden können. Die Kommission war sich einig, dass wir für das spätere Endlager ein Konzept der Reversibilität wollen. Nachfolgende Generationen müssen unsere Entscheidung revidieren können, gleichzeitig dürfen wir sie nicht mit dem Zwang zu handeln belasten. Im Ergebnis hat sich die Kommission für ein Konzept entschieden, nach dem der eingelagerte Atommüll für einige Jahrhunderte wieder geborgen und umgelagert werden kann. Genau das hat die grüne Bundestagsfraktion 2011 auch schon beschlossen.

ZUSÄTZLICHE KLAGEMÖGLICHKEITEN

Auch beim Rechtsschutz hat sich die Kommission noch einmal deutlich bewegt. Am Ende jeder Suchphase wird der Bundestag per Gesetz über die Standorte beschließen, die in der Wahl bleiben. Klage dagegen wäre nur vor dem Bundesverfassungsgericht möglich. Auf Protest, vor allem aus den Umweltverbänden, hatten wir bereits reagiert und im StandAG 2013 zusätzlich eine einmalige Klagemöglichkeit vor dem Verwaltungsgericht eingebaut. Dem Vertreter des BUND, uns Grünen und Teilen der SPD schien das aber nicht ausreichend. Jetzt wird es vor der untertägigen Erkundung sowie vor der endgültigen Standortentscheidung zusätzliche Klagemöglichkeiten geben.

Trotz dieses und anderer Erfolge hat der Vertreter des BUND, als einziges stimmberechtigtes Mitglied, am Ende die Ergebnisse der Kommission abgelehnt. Die Kritik einiger großer Umweltverbände und vieler Anti-Atom-Initiativen richtet sich vor allem gegen den Verbleib Gorlebens in der Endlagersuche. Es ist richtig: Diesen Standort mit seiner vergifteten Geschichte auszusparen, würde die Sache vereinfachen. Und es wäre fair, die Menschen im Wendland endlich in Ruhe zu lassen. Aber ein Neustart ohne Gorleben hatte nie eine Chance – nicht im Bundestag und schon gar nicht im Bundesrat. Aus Perspektive der Gerechtigkeit ist das nachvollziehbar: Ein ergebnisoffenes und wissenschaftsbasiertes Vorgehen lässt einen politischen Ausschluss – egal wo – nicht zu.

Deshalb muss Gorleben sich wie jeder andere Standort den Kriterien stellen. Niemand kann heute garantieren, dass das Verfahren bis zum Ende so durchgeführt wird: ergebnisoffen und wissenschaftsbasiert. Die Kommission hat es so angelegt, aber es wird viele wachsame Begleiter brauchen, die den Prozess konstruktiv-kritisch verfolgen. Seit der Standortentscheidung 1977 gab es keine Chance, von Gorleben wegzukommen – jetzt ist sie erstmals da.

SO KANN ES GEHEN

Können Grüne Ja zu dem neuen Verfahren sagen? In der Kommission haben es zum Abschluss alle getan: die Landesminister, die grünen Wissenschaftler, ich für die Bundestagsfraktion. Nicht, dass alle Wünsche erfüllt wären. Der Atomausstieg wurde nicht im Grundgesetz verankert, das Exportverbot auch für Forschungsatommüll lässt immer noch Ausnahmen zu. Für den letzten Vergleich müssen weniger Standorte unterirdisch untersucht werden, als wir gewollt hätten. Aber wir Grüne haben in dieser Kommission viel erreicht. Kein zähneknirschender Kompromiss, sondern ein Neuanfang: Ja, so kann es gehen!