Obwohl innerhalb unseres Ortsverbandes rechtzeitig angekündigt, konnte Anschi im Juni dennoch nur wenige Interessierte durch die Nordstadt führen. Dabei ging es um ein gleich in mehrfacher Hinsicht grünes Thema: Erhalt und Pflege artenreicher innerstädtischer Grünzonen in Zeiten des Klimawandels.
Beginnend an der Straßenbahn-Haltestelle Duale Hochschule in der Erzbergerstraße führte Anschi unsere kleine Gruppe über verschiedene Grünflächen der Nordstadt. Der Startpunkt war nicht nur aus verkehrlicher Sicht gut gewählt. In unmittelbarer Nähe der Haltestelle stehen zahlreiche alte Eichen, deren Tage offensichtlich gezählt sind: Abblätternde Borke, trockene Astspitzen und unübersehbare Löcher und Fraßgänge in den Stämmen. Klarer Fall: Von wegen Klimawandel, der Heldbock ist schuld! Doch der vom Aussterben bedrohte und daher unter strengem Schutz stehende, bis zu fünf Zentimeter lange Käfer befällt bevorzugt kranke, absterbende Eichen an sonnigen Standorten und damit eben auch die auf dem breiten Grünstreifen der Erzbergerstraße.
Mehr Wurzelraum, als der zwischen Straße und Schiene und weniger lange Trockenphasen, als die der vergangenen Sommer, hätten also geholfen – nicht dem Heldbock, aber den Eichen. Also doch Klimawandel! Aber immerhin auch ein geschützter Käfer, der davon zumindest vorerst profitiert.
Und mit Bäumen ging es zunächst weiter: einige Eichen, aber auch Hainbuchen, Kiefern und Buchen und in teils jämmerlichem Zustand. Die besondere Gefahr bei Buchen: Sie bleiben lange grün und sehen daher oft gesünder aus, als sie es tatsächlich noch sind. Bis sie schließlich scheinbar ohne jede Vorwarnung große grün belaubte Äste auf Fußwege werfen oder in voller Länge auf die Straße fallen. Die nach dem Umfallen sichtbar werdenden Wurzelteller präsentieren sich dann fast immer erschreckend klein: Der schon seit Längerem durch wiederkehrende Trocken- und Hitzephasen geschwächte Baum war vom Riesenporling befallen und das ursprünglich weit verzweigte Wurzelwerk schlichtweg verfault.
Der Fruchtkörper des Riesenporlings, ein großes fleischig-blättriges Gebilde, ist dabei oft nur wenige Wochen zu sehen. Wer ihn in der Nähe oder gar unmittelbar an einer Buche entdeckt, sollte darüber umgehend die Stadt informieren, mit Foto und genauem Standort – der Baum ist nicht mehr stabil, stellt eine immense Gefahr dar und sollte so bald wie möglich gefällt oder seine Umgebung weiträumig abgesperrt werden.
Eine wichtige, wenn nicht die wichtigste während des Rundganges vermittelte Erkenntnis: Menschen sind schlechte Gärtner, die Natur kann es besser! Man muss sie nur lassen: Zufällig ausgesäte Bäumchen, die sich durchsetzen konnten, überstehen auch ungünstige Umgebungsbedingungen und steigende Temperaturen weit besser, als in Baumschulen gezogene und als Hochstamm verpflanzte Bäume. Vom Kappen der Wurzeln und Verpflanzen an einen von der ursprünglichen Umgebung stark abweichenden Standort erholt sich der junge Baum wenn überhaupt nur sehr zögerlich.
Zu wenig Wurzelraum zwischen Parkbuchten oder gar unmittelbar über den Wurzeln geparkte Autos geben solch teuer gezogenen Bäumen dann in Verbindung mit dem nicht mehr wegzudiskutierenden Klimawandel immer häufiger nach schon wenigen Jahren kümmerlichen Daseins den Rest.
Nicht zuletzt kann auch eine invasive Art gärtnerischem oder forstwirtschaftlichem Tun drastische Grenzen aufzeigen. Ein Beispiel aus jüngerer Zeit: das Eschentriebsterben. Die Esche, robust und mit recht unterschiedlichen Standortbedingungen verträglich, wurde zum Hoffnungsträger sowohl im Forst, als auch im städtischen Umfeld. Sie sollte andere, auf die sich abzeichnenden klimatischen Veränderungen deutlich empfindlicher reagierende heimische Baumarten ersetzen.
Doch ein Mitte der 1990er aus Asien zunächst nach Polen eingeschleppter Pilz, der sich bereits 2010 in ganz Mitteleuropa ausgebreitet und drei Jahre später sogar die Alpen überwunden hatte, machte dem nachhaltig einen Strich durch die Rechnung.
Er sorgt seither nicht nur für zahlreiche vor sich hin vegetierende Forstflächen, sondern auch für so manche kümmerliche oder gar wenige Jahre nach ihrer Anpflanzung absterbende Allee. Eine davon befindet sich in Karlsruhe: Die schon vor einigen Jahren gesetzten aber trotz Pflege und Bewässerung einfach nicht gedeihenden kümmerlichen Bäumchen entlang der südlichen Brauerstraße sind Eschen. Vom Pilz befallen, kämpfen sie ums Überleben, ihre frischen Triebe sterben alljährlich ab.
Die Anzucht der Eschen war teuer und mühevoll und besagter Pilz bei uns zu dieser Zeit noch nicht in Sicht. Zum Zeitpunkt der Verpflanzung dieser Eschen in die Brauerstraße war ihre Gefährdung durch den bei uns neuen invasiven Pilz jedoch bereits bekannt gewesen. Die Reißleine zu ziehen und die Eschen als Einzelbäume im Stadtgebiet zu verteilen, statt sie wie Jahre zuvor geplant im Spalier entlang der Straße anzupflanzen, gelang den damals Zuständigen leider dennoch nicht.
Aber aus den heute offensichtlichen Fehlern der Vergangenheit wurde gelernt: Für die Kaiserstraße sind verschiedene Baumarten vorgesehen, die im Wechsel stehen sollen. Vielfalt statt Einheitlichkeit mag dem typisch deutschen Ordnungssinn zuwider laufen, macht aber nicht nur Alleen überlebensfähiger.
Nach diesem gedanklichen Ausflug in Südwest- und Innenstadt ging es weiter auf der Nordstadtrunde, südlich der Schulen und Sportplätze quer durchs Grün. Entlang des schmalen Pfades eine große, augenscheinlich gesunde Pappel, eine stattliche Edelkastanie, zahlreiche Gehölze, viele Sämlinge verschiedener Laubbaumarten und das alles in einer teils ungemähten, stellenweise blütenreichen Wiese, durchkreuzt von Pfaden, die die mehrgeschossigen Wohngebäude entgegen jeder Planung auf jeweils kürzester Linie verbinden.
So geht es also auch: Weitgehend wachsen lassen, was da ohnehin schon von selbst aus dem Boden kommt. Bereits Großgewordenes nicht oder nur sehr zurückhaltend beschneiden und die Wiese nicht zu oft mähen. Platz lassen für die Wurzeln von Bäumen und Gehölzen und den Boden nicht durch Befahren verdichten. Apropos Befahren: Wer auch nur teilweise unter der Krone eines Baumes parkt, steht auf dessen Wurzeln. Das ist Gift für den Baum.
Eine von Anschis Aussagen an dieser Stelle hat uns dann zumindest im ersten Moment doch überrascht: Durch die überwiegend intensive Bodenbewirtschaftung in der Landwirtschaft sei die Artenvielfalt in den Städten zwischenzeitlich höher, als auf dem Land. Auch die zwischenzeitlich vorgeschriebenen Blühstreifen an den Ackerrändern könnten das kaum ändern.
Auf einen anderen gerade für Karlsruhe wichtigen Aspekt machte sie uns bei Annäherung an die Wohngebäude aufmerksam: die Bewässerung. Die Nordstadt und weitere Teile Karlsruhes sind auf Sand gebaut. Bewässerung ist also wichtig, aber die Verwendung aufbereiteten Trinkwassers sollte dennoch auf ein zwingend erforderliches Minimum beschränkt bleiben. Regenwasser, das von versiegelten Flächen ungenutzt in die Kanalisation geleitet wird, ist somit blanker Unsinn.
Bei vielen Nordstadtgebäuden führen die Dachentwässerungen daher nicht in die Kanalisation. Das Regenwasser wird stattdessen über Gerinne den Grünflächen zugeleitet, was den Bedarf künstlicher Bewässerung reduziert und weitgehend auf längere Trockenphasen beschränkt. Darüber hinaus dient der Boden als Pufferspeicher, der das schnelle Abfließen zeitweise zu hoher Regenmengen in Kanalisation und Fließgewässern abmildert.
Auf unserer letzten Etappe, die uns in Richtung des für den Abschluss ausgewählten Biergartens des „Fünf“ am nördlichen Ende der Nordstadt führte, fasste Anschi die aus ihrer Sicht wesentlichen Aspekte für möglichst artenreiche und weitgehend klimaresistente innerstädtische Grünflächen nochmals zusammen, immer unter Verweis auf zahlreiche durchaus positive Beispiele links und rechts unseres Weges:
Rasenflächen sollten zu Wiesen werden. Dazu ist keine spezielle Aussaat nötig. In der Natur setzen sich mit der Zeit die standortgerechten Arten durch. Geduld und zweimaliges Mähen pro Jahr genügen. Alles Weitere wird sich einpendeln. Das möglichst nicht gehäckselte und getrocknete Schnittgut sollte einige Tage nach der Mahd entfernt werden. Das Trocknen führt zu einer natürlichen Aussaat, das anschließende Abtragen des Mähgutes verhindert eine zu starke Nährstoffanreicherung im Boden. Auf Gießen kann weitgehend verzichtet werden. Mit der Zeit entsteht so eine an den Standort angepasste blütenreiche Vielfalt, die beste Bedingungen für Insekten und Kleintiere bietet. Große Teile des Grüns benötigen damit neben der zweimaligen Mahd keinerlei kostenintensive Pflege mehr – eine Win-Win-Situation.
Lediglich Teilflächen, die auch als Spiel- oder Liegewiese genutzt werden sollen, benötigen eine etwas häufigere Mahd. Sie sollten jedoch niemals vollständig gemäht werden. Das wechselweise Stehenlassen kleiner Inseln blühender Pflanzen hilft auch hier, die Artenvielfalt zu erhalten.
Da auf natürliche Weise ausgesäte Jungbäume, sogenannte Sämlinge, an ihrem quasi „selbstgewählten“ Standort stets robuster sind, als in Baumschulen gezogene und schließlich an ihre endgültigen Standorte versetzte Exemplare, sollte man in den Flächen zum Erhalt des Baumbestandes auf Naturverjüngung vertrauen. Auch hierbei gilt es, einfach weniger zu tun, als bisher üblich: Bei der Mahd ausgewählte Sämlinge einfach stehen lassen und ggf. gegen mutwillige Beschädigungen schützen. Mehr braucht es nicht, die schaffen das schon.
Bei der Nach- oder Neupflanzung von Straßenbäumen gilt es dagegen, gezielt standortgerechte Arten auszuwählen, die voraussichtlich mit den sich schnell ändernden klimatischen Bedingungen zurechtkommen können. Die Wahl sollte dabei auf bedingt winterharte Arten fallen, die bisher im europäischen Süden heimisch sind. Und da das mit der Voraussicht, ähnlich wie im zuvor beschriebenen Fall der Eschen, ein wenig an Glücksspiel grenzt, darf dazu keinesfalls nur eine scheinbar „optimale“ Art ausgewählt werden. Auch hierbei gilt es zwingend, Artenvielfalt und genetische Vielfalt zuzulassen.
Unser Nordstadtspaziergang war eine in unseren Augen rundum gelungene und sehr interessante aber leider etwas schwach besuchte Exkursion. Wer nun (zurecht) den Eindruck hat, etwas verpasst zu haben, sollte sich daher unbedingt am Samstag, 10. August, um 15 Uhr am Turm des Karlsruher Schlosses zum Start der „Grünen Radtour“ mit Thomas Breunig (Institut für Botanik und Landschaftskunde) und Bettina Lisbach (Umweltbürgermeisterin) einfinden.
Im Anschluss an die Tour treffen wir uns zum gemeinsamen Ausklang und zum Sommerfest anlässlich des zweijährigen Bestehens unseres Ortsverbandes im Kulturzentrum Mikado in der Nordstadt.
Für den Ortsverband Nordstadt,
Kellya Clanzig und Axel Widder