Hormone – Der Kampf um das Nein

Hormonfleisch und -milch sollen in Europa wieder zugelassen werden – darum bemühen sich die USA seit mehr als 25 Jahren. Dabei sind in der EU nur Wachstums-, nicht aber Sexualhormone verboten.

Neben Antibiotika werden in der Massentierhaltung auch Hormone eingesetzt. Während Antibiotika Krankheitserreger in Schach halten sollen und nebenbei mastbeschleunigend wirken, weil sie auch „gesunde“ Darmbakterien und so deren Energieverbrauch reduzieren, wirken Hormone anders: Sie beeinflussen unmittelbar das Zellwachstum und die Gewichtszunahme. Damit können sie die Leistung von Milchkühen um 15 bis 30 Prozent, das Fleischwachstum bei Rindern, Schweinen und Schafen um 8 bis 38 Prozent steigern. Bekannt sind viele Nebenwirkungen für die Tiere, darunter Hyperaktivität, Herzrasen, aber auch Spontantode. Wenn Tiere mit Hormonen behandelt werden, erhalten sie oft auch mehr Antibiotika. Mit Sexualhormonen steuern Tierhalter den Zyklus weiblicher Tiere, sparen somit Arbeitskosten und steigern die Nachkommenzahl. Wachstumshormone wie Ractopamin sind global umstritten. Sie erlangten traurige Berühmtheit,

als in China 2010 Mädchen im Säuglingsalter, die alle das gleiche Milchpulver erhalten hatten, Brustwachstum aufwiesen. Ärzte brachten Milchpulver von hormonbehandelten Kühen damit in Verbindung. Veterinärmediziner und Krebsforscher warnen vor Wachstums- bzw. Masthormonen, weil sie als krebsfördernd und erbgutschädigend gelten. Viele Regierungen verbieten Ractopamin, darunter China, die EU, Russland, Indien und die Türkei.

Wenn sie Sexualhormone erhalten, werfen Säue oft 15 Ferkel – bei 14 Zitzen

Der EU-Markt ist seit 1988 unzugänglich für Hormonfleisch. Die USA haben darauf zunächst mit Strafzöllen auf EU-Waren reagiert. Um wieder Frieden zu schaffen, erlaubte die EU ab 2009 die zollfreie Einfuhr von rund 45.000 Tonnen Rindfleisch, für das die USA Hormonfreiheit zusichern mussten. Die USA beendeten umgekehrt ihre Sanktionen gegen EU-Waren und damit den „Hormonstreit“ – auch mit dem Ausblick auf die im Jahr 2013 begonnenen TTIP-Freihandelsgespräche mit der EU-Kommission. US-Schweine-fleischexporte in die EU seien auf einige wenige US-Erzeuger ohne Hormoneinsatz begrenzt, solange dieses Mittel verboten ist, klagte die US-Regierung im Vorfeld der Verhandlungen.

Sowohl global agierende Pharmafirmen als auch amerikanische Fleischexportfirmen wollen Handelshemmnisse für Hormonfleisch abbauen. Die Verhandlungen sind nicht öffentlich, daher wissen Verbraucher in der EU aktuell nicht, was die EU-Kommission den USA verspricht. Verbraucher-, Umwelt- und Tierschutzorganisationen fordern den Stopp der Geheimverhandlungen und eine verpflichtende Kennzeichnung für Fleisch und alle anderen Lebensmittel vom Tier, also letztlich Wahlfreiheit im Einzelhandel: Herkunft, Hormoneinsatz, Gentechnik im Futter und die Haltung der Tiere müssen eindeutig erkennbar sein. Eine solche Kennzeichnung aber gilt Konzernen gerade als zentrales „Handelshemmnis“, das der TTIP-Vertrag beseitigen soll.

Erlaubt ist in der EU der Einsatz von Sexualhormonen. Sie werden Sauen im Stall gespritzt, damit alle den gleichen Zyklus haben. Natürlicherweise gebären Sauen ihre Ferkel, wenn die Tragzeit beendet ist, und werden erst wieder tragend, wenn die Säugezeit nach etwa sechs Wochen zu Ende geht. Industrielle Ställe mit zehntausenden Sauen folgen einer anderen Logik. Ihre Architektur mit tausenden von Eisengitter-Geburtsständen gibt vor, dass die exakt passende Anzahl Sauen zur gleichen Zeit gebären. Nach kaum drei Wochen Säugezeit soll die Sau mit Hilfe von weiteren Hormongaben sofort wieder tragend werden; eine „leere“ Sau kostet nur.

Kläranlagen stoppen Hormone aus den Kläranlagen für Mensch und Tier nicht

Bisher sieht kein Staat systematische Rückstandsuntersuchungen oder eine verpflichtende Kennzeichnung von Fleisch aus Hormonzucht vor. Über die eingesetzten Hormonmengen gibt keine Verbraucherschutzbehörde transparente Auskunft. Nicht nur über das Fleisch können die Hormone Menschen erreichen. Tiere scheiden 85 Prozent der Wirkstoffe wieder aus. Sie gelangen mit der Gülle in die Umwelt, vor allem in die Gewässer. Mediziner führen das Wachstum einiger Krebsarten, zunehmende Unfruchtbarkeitsprobleme bei Männern sowie eine immer früher einsetzende Pubertät auf die allgemein steigende Belastung der Natur mit hormonwirksamen Substanzen zurück. Welcher Anteil davon auf die Tierzucht entfällt, ist bislang nicht untersucht. Doch insbesondere im Kindesalter können bereits sehr geringe Hormondosen zu Fehlbildungen der Geschlechtsorgane und Geschlechtsumwandlungen beitragen, zeigen Tierversuche im Labor und bei Wildtieren in der Natur. Die Technik bietet keine Hilfe: Kläranlagen halten die meisten Stoffe nicht auf.

Artikel aus dem Fleischatlas, gekürzte Fassung (CC-BY-SA Heinrich-Böll-Stiftung, BUND, Le Monde Diplomatique)

Den kompletten Fleischatlas findet ihr hier