d) Perspektiven für eine inklusive Gesellschaft

Inklusiv leben kann nur mit einer starken Bürgergesellschaft gelingen. In Baden-Württemberg ist diese gerade im Bereich Pflege sehr lebendig. Immer mehr engagierte Bürgerinnen und Bürger übernehmen in ihrem direkten Umfeld Verantwortung und gestalten das soziale Leben dort neu. Durch diesen Einsatz wird deutlich, dass der Wille, neue Wege zu gehen, in unserem Land keineswegs nur in Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie besteht. Im Gegenteil, es hat den Anschein, dass der demografische Wandel auch einen Wandel der sozialen Infrastrukturen und der sozialen Dienste bedingt.

Dieser neue soziale Zeitgeist steht unserem Grünen Grundgedanken der Beteiligung, der Nachhaltigkeit und der überschaubaren Strukturen nahe. Innovationen entstehen inzwischen vielerorts dadurch, dass Menschen neue Ideen entwickeln, wie sie gemeinsam leben, wirtschaften und füreinander sorgen wollen. Ob man sich gemeinsam ein Auto teilt, in neuen Wohnformen füreinander Verantwortung übernimmt oder zusammen einen Garten bewirtschaftet.

„Soziale Innovationen“ unserer Zeit sind in vielen Fällen auch Grüne Innovationen, die gemeinwirtschaftliche Antworten auf Herausforderungen im Bereich der Daseinsvorsorge geben.

Teilhabe für Menschen mit Behinderung – in allen Lebensbereichen

Die Novellierung des Landesbehindertengleichstellungsgesetzes durch die GRÜN-geführte Landesregierung hat einen echten Effekt auf die gesellschaftlichen Teilhaberechte von Menschen mit Behinderung. Mit dem Gesetz ermöglichen wir endlich Inklusion im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention. Die Schaffung einer Beratungs- und Ombudsstruktur durch Behindertenbeauftragte der Stadt- und Landkreise stellt sicher, dass der Sozialstaat aktiv werden kann, wenn die Freiheit und Teilhabemöglichkeit des Einzelnen durch Andere eingeschränkt wird. Außer bei definierten Ausnahmen sind Beauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderungen deshalb zukünftig in jedem Stadt- und Landkreis, gefördert vom Land, hauptamtlich zu besetzen.

Zur Verwirklichung der Inklusion ist die Barrierefreiheit eine Grundvoraussetzung. Dabei ist uns bewusst: Komplette Barrierefreiheit in ganz Baden-Württemberg ist nicht von heute auf morgen zu erreichen, sondern ein Ziel mit vielen Etappen. Die GRÜN-geführte Landesregierung hat wichtige Maßnahmen ergriffen, um auf diesem Weg voranzukommen: Im Bereich Mobilität haben wir ein Landesprogramm für Barrierefreiheit im Nahverkehr angeschoben und mit dem neuen Inklusionsgesetz haben wir den Durchbruch zur Umsetzung einer inklusiven Schullandschaft geschafft.

In der nächsten Legislaturperiode wollen wir ein Landeskompetenzzentrum Barrierefreiheit einrichten, das Kommunen und freie Träger dabei unterstützt, Barrierefreiheit bei Einrichtungen und Gebäuden, Straßen und Plätzen zu realisieren. Dabei ist uns bewusst, dass im Sinne eines ganzheitlichen Verständnisses von Barrierefreiheit der Abbau von baulichen, kommunikativen und informationellen sowie sozialen Barrieren erforderlich ist. Nicht nur dabei ist uns die Beteiligung von Menschen mit Behinderung als Expert*innen in eigener Sache ein wichtiges Anliegen, sondern auch bei der Fortführung des Landesaktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und bei der Entwicklung passgenauer Beratungsangebote.

Für Menschen mit Behinderung bestehen besondere Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Rechts auf lebenslanges Lernen. Wir wollen das vom Kommunalverband für Jugend und Soziales verwaltete, aus Bundesmitteln gespeiste Programm „Perspektive 2020“ zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention anders gestalten, damit Menschen mit Behinderung ihr Recht auf lebenslanges Lernen verwirklichen und weitere bzw. höhere Qualifikationen erwerben können. Dafür muss die nötige Assistenz sichergestellt werden.

Menschen mit Behinderungen haben ein Recht auf unabhängige Beratung, Assistenz und Hilfsmittel. Wir wollen im Rahmen der Landeszuständigkeit dafür sorgen, dass diese Ansprüche in allen Lebensbereichen – von der frühkindlichen Bildung über das Wohnen bis zur Integration in den Arbeitsmarkt – über alle Hilfesysteme hinweg möglichst einheitlich, zuverlässig und unbürokratisch erfüllt werden. Auf Bundesebene setzen wir unser weiterhin engagiert für ein echtes Teilhabegesetz ein, damit aus der Eingliederungshilfe ein modernes Teilhaberecht wird.

Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarktpolitik

Inklusiv macht stark – dieser Grundgedanke gilt für uns GRÜNE auch in der Arbeitsmarktpolitik. Arbeiten bedeutet Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. In Zeiten des Fachkräftemangels können wir erst recht auf niemanden verzichten. Um hier auf Landes- und kommunaler Ebene voran zu gehen und Chancengleichheit zu schaffen, setzen wir uns für eine anonymisierte Bewerbung bei Landes- und Kommunalunternehmen sowie -verwaltungen ein. Zur Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarktgehört es auch, die Befristungen im Dienst des Landes abzusenken. Ferner möchten wir allen eine faire Entlohnung einräumen, insbesondere Praktikant*innen.

Durch das Landesarbeitsmarktprogramm der GRÜN-geführten Landesregierung haben mehr als 9500 Menschen den Weg zurück in eine berufliche Zukunft gefunden. Ein Bestandteil des Arbeitsmarktprogramms des Landes ist die Teilzeitausbildung, die es Menschen ermöglicht, berufliche Ausbildung und beispielsweise familiäre Aufgaben miteinander zu vereinbaren. Wir stehen dafür, dass es diese Möglichkeit weiterhin geben wird.

Mit dem bundesweit einmaligen Modellprojekt zum Passiv-Aktiv-Tausch wollen wir bestehende Paradigmen in der Arbeitsmarktpolitik ändern: Statt wie bisher die Arbeitslosigkeit von Langzeitarbeitslosen zu finanzieren, bezuschussen wir Arbeitsplätze von staatlicher Seite und unterstützen somit die Aufnahme einer regulären Beschäftigung. Auch Menschen, die momentan keine Chancen in der Arbeitswelt haben, sollen mit dem sozialen Arbeitsmarkt Perspektiven erhalten. Dieses Modell werden wir weiterführen und uns dafür einsetzen, dass es auch auf Bundesebene übernommen wird. Dabei wollen wir auch passgenaue Förderangebote für am Arbeitsmarkt benachteiligte Menschen (z.B. Menschen mit Behinderung) entwickeln. Im Interesse einer umfassenden Teilhabe am Öffentlichen Nahverkehr ermutigen wir die Kommunen dazu, Sozialtickets einzuführen.

Mehr Teilhabe durch neue Wohn- und Pflegekonzepte

Inklusiv leben heißt auch, umsichtig mit den Herausforderungen einer alternden Gesellschaft umzugehen. Selbstbestimmt Leben – dieses Ziel soll für alle Menschen erreichbar sein. Wir GRÜNE sind der Meinung, dass es mehr Alternativen zu häuslicher Pflege und Heimunterbringung geben und Pflegegesetz verabschiedet. Es lässt eine Vielfalt von Wohnformen zu und ermöglicht den Bewohner*innen in all diesen Wohnformen Teilhabe. Wenn professionelle Pflege und bürgerschaftliches Engagement zusammenkommen, ergeben sich neue Wohn-, Pflege- und Unterstützungsangebote, die Menschen ein selbstbestimmtes langes Leben in vertrautem Umfeld ermöglichen. Angebote und Unterstützung für die Pflege und die Assistenz zu Hause wollen wir weiter stärken. Dabei haben wir sowohl den Willen der zu Pflegenden als auch die bestmögliche Unterstützung für die pflegenden Angehörigen im Blick.

Gleichzeitig stärken wir mit der Einrichtung einer Beratungsstelle für neue Wohnformen im Alter eine aktive Bürgergesellschaft bei der Umsetzung innovativer Wohngruppenkonzepte. Diese Wohnangebote sind zentraler Baustein einer Quartiersentwicklung, wie wir sie uns als Bestandteil lebendiger Sozialräume auch für Baden-Württemberg wünschen. Familien sollen dadurch entlastet, ältere Menschen unterstützt und Zugewanderte willkommen geheißen werden. Hierzu wollen wir die Rolle der Kommunen stärken und verlässliche, stabile Strukturen mit professioneller Unterstützung fördern. Wir setzen die richtigen Rahmenbedingungen, damit „Nachbarschaften mit gegenseitiger Sorge“ entstehen können, in der Inklusion und Teilhabe bis ins hohe Alter Realität sind.

Die Neugründung von Sozial- und Bürgergenossenschaften unterstützen wir, um eine weitere Verbreitung sozialer Innovationen voranzubringen. Wir wollen auch die individuelle Beratung für alle, die Unterstützung brauchen, ausbauen, indem zusätzlich Pflegestützpunkte geschaffen werden und eine wohnortnahe Hospiz- und Palliativversorgung ausgebaut wird.

Pflege darf nicht zum Armutsrisiko werden. Da gute Pflege teuer ist, wirft die Verteilung von Sorge- und Pflegetätigkeiten Gerechtigkeitsfragen auf, innerhalb der Familie und auf die gesamte Gesellschaft bezogen. Erst wenn Familienverantwortung besser mit dem Beruf vereinbar ist, ist unsere Gesellschaft in dieser Hinsicht gerecht. Dafür ist es dringend notwendig, dass zum Beispiel Familienpflegezeit anerkannt wird, dass die Beschäftigungsbedingungen in der Pflege verbessert werden und dass Angebote wie Kleinkindbetreuung und Ganztagesschule ausgebaut werden.