Green Border von Agnieszka Holland: Voller Saal in der Kinemathek am 27. März

Foto: Jonas Heinrich

Der OV Nordstadt hatte in der Woche vor Ostern in Zusammenarbeit mit der Kinemathek Karlsruhe den Spielfilm Green Border gezeigt. Trotz des ausgesprochen schwierigen Themas fanden sich mehr als 90 Zuschauer ein.

Der Schwarz-Weiß-Film von Agnieszka Holland behandelt in teils erschreckenden Bildern und mit bedrückender Authentizität die unsäglichen Zustände in den sumpfigen Wäldern im Niemandsland zwischen Belarus und Polen:
Auf der einen Seite das belarussische Regime, das aktiv dafür sorgt, dass viele Migranten die grüne Grenze als vermeintlich sichere „Hintertür“ in die Europäische Union nutzen und dabei durch gezielte Werbemaßnahmen sowie organisierte Transporte auch Menschen, welche eine offenkundig lebensgefährliche Flucht nie erwogen hatten, dazu ermuntert, die Flucht zu wagen.
Auf der anderen Seite die polnische Grenztruppe, welche die EU-Außengrenze gegen die flüchtenden Menschen, darunter Alte, Schwangere, allein reisende Jugendliche und Familien mit kleinen Kindern, mit Gewalt „verteidigt“.
Dazwischen die Geflüchteten, deren anfängliche Glücksgefühle, der Not und Verfolgung in der Heimat entkommen und das ersehnte Europa erreicht zu haben, durch prügelnde und korrupte belarussische Soldaten auf der einen und streckenweise nicht minder brutal und menschenverachtend agierende polnische Grenzschützer auf der anderen Seite jäh zerschlagen werden.
Mittels paralleler und ineinander gewobener Handlungsstränge, welche die Geschichten einer älteren afghanischen Englischlehrerin, einer syrischen Familie, im Grenzgebiet agierender Helferinnen und Helfer der Organisation „Grupa Granica“ und eines zunehmend an seinem Auftrag verzweifelnden jungen polnischen Grenzers erzählen, wird den Zuschauenden sukzessive jede Illusion über das vorgeblich rechtsstaatliche Handeln der EU an ihren Außengrenzen genommen.

Foto: OV Nordstadt: v.l.n.r.: Die Aktivistin Marysia von der Grupa Granica aus Warschau und Kellya Clanzig.

Derart schwere Kost kann nicht einfach konsumiert werden, es braucht Raum für Gespräche zur emotionalen Verarbeitung des Gesehenen und Möglichkeiten zum kritischen Austausch. Dazu hatten wir in unserer kurzen Begrüßung unmittelbar vor der Filmvorführung bereits ausdrücklich eingeladen.
Unseren in diesem Zusammenhang gegenüber der Kinemathek ausgesprochenen Dank für ihr Entgegenkommen hinsichtlich unserer vergleichsweise geringen Beteiligung am eingeforderten Obolus für den Filmverleih gab Marc Teuscher stellvertretend für die Kinemathek gleich wieder zurück:
Die Kinemathek habe als gemeinnütziger Verein den ausdrücklichen Auftrag, Begegnungen für politischen und gesellschaftlichen Diskurs abseits des Mainstreams zu ermöglichen. Er habe sich daher sehr gefreut, dass wir mit unserem Wunsch, diesen Film zu zeigen, auf die Kinemathek zugekommen sind.

Passend zum Thema des Films forderten Miriam und Alex, zwei Aktive der Seebrücke Karlsruhe, in einem kurzen, eindringlichen und gegenüber den politisch Verantwortlichen aller Ebenen und aller Parteien sehr deutlich Kritik übenden Redebeitrag sichere Fluchtwege für Asylsuchende.
Eine Forderung richteten sie dabei auch an die Stadt: Karlsruhe sei zwar dem Bündnis „Städte sicherer Häfen“ beigetreten und habe sich bereits 2019 zum sicheren Hafen für Geflüchtete erklärt, diesem Bekenntnis seien bislang jedoch keine nennenswerten Taten gefolgt. Karlsruhe könne mehr tun als ein Zeichen setzen: Konstanz habe beispielsweise eine Schiffspatenschaft übernommen und unterstütze damit die Seenotrettung im Mittelmeer unmittelbar.
Die Seebrücke stellte anlässlich der Vorführung von „Green Border“ mit einem Informationsstand im Foyer der Kinemathek ihre Arbeit vor.

Foto: OV Nordstadt v.l.n.r.: Kellya Clanzig, Jonas Heinrich, Axel Widder und die Aktivistin Marysia

Ein besonderer Gast des Abends war Marysia von der „Grupa Granica“ (polnisch: Grenzgruppe). Sie kennt die Lage der Flüchtlinge an der polnisch-belarussischen Grenze aus eigenem Erleben und hat bei der Produktion des Films mitgewirkt. Eindrucksvoll konnte sie berichten, wie während des Drehs sichergestellt wurde, die Realität vor Ort so authentisch wie möglich widerzuspiegeln.
So habe sie beispielsweise gemeinsam mit den anderen Aktiven ihre Einsätze zunächst stets genauso gespielt, wie sie sich auch bei echten Einsätzen verhalten hätten. Anschließend wurde alles filmtauglich wiederholt. Das hieß vor allem: lauter sprechen und das Einsetzen von Stirn- und Taschenlampen, statt unauffällig im Dunkeln zu arbeiten.

Bei unseren Fragebögen zum Film und zum Themenkomplex Asyl und Migration hatten wir einen ausgesprochen guten Rücklauf: rund die Hälfte der Anwesenden gab uns überwiegend vollständig ausgefüllte und teils sogar zusätzlich kommentierte Bögen zurück.
Wesentliches Fazit der Umfrage: Die EU-Staaten tragen mit ihrer von ökonomischen Interessen angetriebenen Außen- und Wirtschaftspolitik eine Mitverantwortung für Krisen und damit auch für Fluchtursachen auf dieser Welt. Europa muss sich daher seiner Verantwortung stellen und darf nicht dazu beitragen, dass Menschen in Not zum Spielball zwischen den Mächten werden.
Sammellager an den Außengrenzen und das zeitweise Aussetzen von Asylverfahren, wie es auch der aktuelle europäische „Asylkompromiss“ vorsieht, ist auch dann kein legitimes Mittel, wenn Flüchtlinge von einigen Staaten instrumentalisiert und gezielt an unsere Grenzen geführt werden.
Während andere Fragen zum Teil polarisierten, war die Meinung hier nahezu einhellig. In unseren Gesprächen im Anschluss an den Film konnten wir außerdem feststellen, dass das Spektrum politischer Orientierungen, das durch die Anwesenden abgedeckt wurde, weitaus breiter war, als wir im Vorfeld der Filmvorführung angenommen hatten.

Alles in allem ein interessanter, eindrucksvoller, aufwühlender Abend!

Ihren Termin in Karlsruhe hatte Marysia noch u.a. dafür nutzen können, die Landeserstaufnahmestelle Karlsruhe zu besuchen und um ein Gespräch mit der Flüchtlingshilfe wahrzunehmen. Die gewonnenen Informationen will sie für ihre Arbeit in der Kommission zur Asylrechtsreform in Polen nutzen.

Für den Ortsverband Nordstadt,
Julia von Oertzen und Axel Widder